Rechtsanwältin Dr. Birgit Stede |
Formalismus hat ein Ende – Deregulierung greift
Seit wie vielen Jahren beklagen wir die gewachsenen formalen Anforderungen und die Regelungsflut, die – so mancher hatte es längst geahnt – mit Umweltschutz nicht immer was zu tun haben. Damit soll nun Schluss sein: Ein neues Gesetzeswerk ist in Bearbeitung, nach dem die Entsorgung von Abfällen ohne Abstriche an den Umweltschutz künftig unbürokratisch und praxisgerecht erfolgen soll. Ein wahres Kunstwerk des Gesetzgebers. Die seit langem geforderte Deregulierung wird greifen.
Halt, halt!! Heute ist zwar der 1. April – aber wenn Sie dieses lesen, ist der Tag ja längst vorbei. Also noch mal von vorn:
Forderung nach Deregulierung
Angesichts der komplexen umwelt- und verfahrensrechtlichen Vorschriften ist Deregulierung geboten; wegen der Globalisierung wird sie auch von der Entsorgungswirtschaft und wegen der Unübersichtlichkeit selbst von vielen Behördenvertretern dringend gefordert. Wir hören es auf allen Tagungen, wir lesen es, nicht nur in der Fachpresse. Deregulierung tut not. Und das Thema ist wahrlich nicht neu: Seit vielen Jahren, ja fast schon Jahrzehnten werden die Forderungen nach Deregulierung erhoben. Und tatsächlich gibt es Ansätze. Bereits Ende der 80er/Anfang der 90er wurden im Rahmen von Forschungsprojekten praxistaugliche und verfahrensvereinfachende Vorschläge entwickelt (Unterzeichnerin war damals selbst daran beteiligt), ohne dass die Umweltschutzziele in den Hintergrund gerückt wurden. Die Vorschläge wurden in gesetzlichen Novellierungen aufgegriffen, so z.B. zur Vereinfachung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Nur: Diese Möglichkeiten zur Verfahrensvereinfachung werden kaum – oder oftmals nur sehr zögerlich – gelebt.
Und daneben erwachsen neue Anforderungen – sowohl rein formale als auch solche, die tatsächlich zu einem besseren Umweltschutzniveau hinführen.
Verwertung auf Deponien
Aktuell wird der Arbeitsentwurf für eine Verordnung über die Verwertung von Abfällen auf Deponien über Tage diskutiert. Eine Verordnung, die angesichts der Schließung vieler Deponien zum 31. Mai 2005 bis spätestens Frühjahr nächsten Jahres erlassen werden soll. Denn die Frist 31. Mai 2005 ist verbindlich – wir hatten berichtet – und trotz der unbefristet erteilten Planfeststellungen darf eine Altdeponie aufgrund der Ablagerungsverordnung nicht weiter betrieben werden, wenn nicht ein Verlängerungsantrag gestellt und genehmigt wurde. Dies hatte bereits das Oberverwaltungsgericht Münster mit Beschluss vom 18. August 2003 klargestellt.
Dass nach Beendigung des Betriebes die Deponien profiliert und abgedichtet werden müssen (Fachleute weisen zu Recht darauf hin, dass eine Deponie als solche nicht zum Abschluss gebracht werden kann – als Ablagerung bleibt sie ja erhalten), ist klar. Welche Abfälle für die Profilierungs- und Abdichtungsschichten zulässigerweise eingesetzt werden dürfen, ist allerdings dem Entwurf nicht zu entnehmen. Vorgesehen ist eine negative Abgrenzung: Die Abfälle müssen aufgrund ihrer bauphysikalischen Eigenschaften als Bauersatzmaterial geeignet sein. Ferner dürfen keine Abfälle eingesetzt werden, die flüssig, infektiös, geruchsintensiv, toxisch o.ä. sind. Verfestigte und stabilisierte Abfälle dürfen nur unter den Voraussetzungen eingesetzt werden, dass z.B. im Zuge eines Behandlungsverfahrens Schwermetalle entzogen und die Festigkeit und Stabilität der Abfälle nachgewiesen werden. Ferner sollen die Abfälle bestimmte Zuordnungswerte nicht überschreiten, die sich – je nach Schicht (Aufbringung im Ablagerungsbereich, Oberflächenabdichtung etc.) – an den Werten Z1 bis Z2 des Merkblatts 20 der LAGA orientieren. Allerdings werden die Anforderungen des LAGA-Merkblatts 20 zurzeit auch neu und detailliert diskutiert, sodass neue Vorgaben auch an die Verwertung mineralischer Abfälle zu erwarten sind.
In Fachkreisen wird der Verordnungsentwurf allerdings bereits dahin gehend kritisiert, dass er eben keine einheitlichen Maßstäbe an die Verwertung aufstellt.
Was die Verwertung auf Deponien beim „Deponieabschluss“ betrifft: Die Verwendung von Abfällen für den Deponieabschluss ist ja durchaus sinnvoll. Da zeitliche Beschränkungen der Abschlussmaßnahmen – jedenfalls von Gesetzes wegen nicht vorgesehen sind – kann der Abschluss im Einzelfall dauern. Und so lange können geeignete Abfälle auf Deponien, deren Betrieb eigentlich eingestellt ist, entsorgt werden. Das Gerangel um Müll findet offenbar seine Fortsetzung.
Abfall oder Produkt
Wir hatten es schon erwähnt: Die EG-Abfallrahmenrichtlinie soll grundsätzlich novelliert werden. Möglicherweise soll hierbei auch eine genauere Abgrenzung Produkt – Abfall erfolgen. Bis dahin wird es immer wieder Auseinandersetzungen darüber geben, wann ein Stoff Abfall, wann Produkt ist. Und das kann dauern. Denn manche Klärung erfolgt letztendlich erst durch den Europäischen Gerichtshof.
So hat der EuGH mit Beschluss vom 15. Januar 2004 entschieden, dass ein Brennstoff – im konkreten Fall ging es um Petrolkoks – kein Abfall ist, wenn er absichtlich erzeugt wird oder aus der gleichzeitigen Erzeugung anderer brennbarer Erdölderivate in einer Erdölraffinerie stammt und mit Gewissheit als Brennstoff verwendet wird. Sei es für den Energiebedarf der Raffinerie selbst, sei es durch andere Gewerbetreibende.
Ein Beschluss, der möglicherweise auch für andere „Nebenprodukte“ Wirkung zeigen wird. Aber Zurücklehnen ist jedoch nicht angebracht: Die Diskussion, ob ein „Nebenprodukt“ Abfall oder eben Produkt ist, wird im Einzelfall immer wieder aufs Neue geführt werden müssen.
Wie einfach geht es doch da mit anderen Stoffen, die irgendwie schon Abfall sind, die aber eigentlich keiner haben will. Der geneigte Leser weiß: Mit der Landwirtschaft haben wir es nun mal. Wird das Vieh – nicht gerade seiner Natur entsprechend – ganzjährig im Stall eingepfercht, ohne Strohbett versteht sich, sondern auf Gittern, um die Ställe leichter mit Wasser reinigen zu können, entsteht Gülle. Viel Gülle. Auch wenn die Gülleverordnung (ja natürlich: Auch die gibt es!) bestimmte Dungeinheiten vorschreibt, die pro Hektar nicht überschritten werden dürfen, so weiß jeder, der mit ländlichen Gegenden vertraut ist: Kaum sagt der Wetterbericht Regen voraus, wird – Nitratbelastung des Grundwassers hin oder her – gegüllt, was das Zeug hält.
Aber die industrialisierte Landwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftszweig – und wo soll man sonst hin mit der Unmenge an Gülle.
Ganz anders bei den Stoffen, die den abfallrechtlichen Regelungen unterworfen sind: Dass die Abfallentsorgung umweltschonend erfolgen muss und soll, steht außer Frage – doch manch eine Anforderungen hat wenig mit Umweltschutzzielen und Umweltschutzniveau zu tun. Novellierung und Deregulierung tut not!
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