Rechtsanwältin Dr. Birgit Stede |
Die stets wiederkehrende Frage: Was ist Abfall?
Tauchen wir kurz ein in das Reich der Philosophie – na gut, wir wollen nicht hochstapeln, also in das Reich der Vulgärphilosophie – und stellen uns die Frage: ‚Was ist Glück?’ Die Frage wollen wir nicht bildzeitungsmäßig beantworten mit ‚Glück ist, wenn ….’. Aber wie dann?
Vergleichbare Probleme stellen sich immer wieder bei der Frage ‚Was ist Abfall?’. Einfache Gemüter legen die Abfalldefinition des KrW-/AbfG zugrunde. Abfall sind alle Sachen, deren sich der Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Das mit dem Entledigen ist ja noch relativ einfach: Jemand schmeißt etwas in die Tonne und damit entledigt er sich der Sache. Aber der Entledigungswille? Es soll auf den Willen des Besitzers ankommen. Ja gut. Aber will nicht auch jeder Produzent die von ihm hergestellten Güter loswerden? Und wird nicht das, was der eine loswerden will, von einem anderen – so z.B. dem Entsorger – begehrt?
Ähnlich die Frage, wann eine Sache, die mit Hilfe der Auslegungskrücken als Abfall eingestuft wurde, nach einem Aufbereitungsprozess wieder zu einem Produkt wird. Hierzu hat das BVerwG im Dezember 2006 ein Urteil gefällt, das für viel Wirbel sorgt. Das BVerwG hat Klärschlammkompost solange als Abfall eingestuft, bis er aufgebracht ist. Allein mit der Herstellung sei der Klärschlammkompost noch nicht dem Abfallrechtsregime entzogen.
Zur Abgrenzung wurde § 4 Abs. 3 KrW-/AbfG herangezogen. Danach sei mit der Gewinnung von Rohstoffen – wie etwa das Herstellen von Pappe aus Altpapier – der Verwertungsprozess abgeschlossen, der erzeuge Stoff als Produkt einzustufen, wenn er mit Primärrohstoffen identisch oder vergleichbar ist. Auch aufbereiteter Bauschutt, der wieder als Baumaterial eingesetzt wird, ist nach dieser Abgrenzung – und entsprechend bereits bestehender landesrechtlicher Vorgaben – als Produkt anzusehen. Dasselbe gilt, wenn die stofflichen Eigenschaften für den ursprünglichen Verwendungszweck genutzt werden.
Nutzung der stofflichen Eigenschaften für einen neuen Verwendungszweck
Anders sieht es aber nach Ansicht des BVerwG aus, wenn die stofflichen Eigenschaften für einen anderen Verwendungszweck genutzt werden sollen und die Schadlosigkeit der aufbereiteten Materialien und die Identität oder Vergleichbarkeit mit den zu substituierenden Primärrohstoffen nicht von Vornherein feststeht. Dann könnten die aufbereiteten Materialien noch nicht aus dem Abfallrechtsregime entlassen werden. So sei zu prüfen, ob, in welchen Mengen und auf welchen Flächen Klärschlammkompost unter Beachtung der Vorgaben der KlärschlammV und unter Berücksichtigung des Schadstoffgehaltes aufgebracht werden darf.
Das BVerwG hegt offenbar selbst Zweifel an dieser Abgrenzung, denn es bemüht eine Entscheidung des EuGH, nach der ein noch mit Verunreinigungen versetztes, also noch nicht fertig aufbereitetes Material als Abfall eingestuft wurde. Denn ansonsten hat der EuGH bereits eindeutige Abgrenzungen zwischen Produkt und Abfall bzw. zwischen Abfall und Nebenprodukt vorgenommen. Danach ist von einem Produkt auszugehen, wenn eine Sache absichtlich hergestellt und das betreffende Material mit Gewissheit verwendet wird, keine weitere Behandlung erforderlich ist und das Material in einem kontinuierlichen Produktionsprozess entsteht. Alle Kriterien dürften bei dem fraglichen Klärschlammkompost erfüllt sein. Doch hat dies das BVerwG offenbar nicht zufrieden gestellt – und so kommt es letztlich auf die Preisfrage und den Schadstoffgehalt zurück.
Aber ist der Schadstoffgehalt ein ausschlaggebendes Kriterium, wenn sichergestellt wird, dass die Vorgaben der KlärschlammV eingehalten werden? Sind Medikamente Abfall, weil Kinder davor zu schützen sind und nur in bestimmten Dosen helfen (oder auch nicht), in höheren Dosen aber höchst gefährlich werden können?
Abfallschlüssel und Abfallbehandlung
Auch die Einschätzung des BVerwG, Klärschlammkompost sei der AVV-Nr. 19 08 05 (Schlämme aus Abwasserbehandlungsanlagen) zuzuordnen, führt zu leichter Verwirrung. Dass das Eingangsmaterial diesem Schlüssel zuzuordnen ist, leuchtet ja ein. Aber dass der erzeugte Kompost immer noch als Schlamm aus Abwasserbehandlungsanlagen gilt? Eine Änderung der Beschaffenheit im Zuge der Behandlung der Abfälle führe regelmäßig nicht zu einer neuen Zuordnung, so das Gericht. Sind also alle Einstufungen nach den 19er Schlüsseln, die bereits vorgenommen wurden, weil Abfälle in einer Anlage behandelt werden, falsch? Oder sollte das BVerwG die Vorschrift des § 3 Abs. 5 KrW-/AbfG ignoriert haben, nach der auch derjenige als Abfallerzeuger gilt, der Abfälle behandelt und hierdurch die Natur und Zusammensetzung verändert. Der Behandler von Klärschlamm betreibt aber normalerweise keine Abwasserbehandlungsanlage, sondern eine Kompostierungsanlage.
Klimawandel und Abfallentsorgung
Der Klimawandel ist angesichts der extremen Wettersituationen eine für jeden erkennbare Tatsache. Selbst konservativste Klimaforscher leugnen ihn nicht mehr. Wie schön, dass sich Deutschland – jedenfalls was die Abfallpolitik betrifft – zufrieden zurücklehnen kann. Es strömt weniger Deponiegas in die Atmosphäre, weil weniger Abfall auf Deponien landet. Jetzt wird ein europaweites Deponierungsverbot gefordert. Ein mutiges Vorpreschen angesichts der schon öfter thematisierten Folgen der Abfallablagerungsverordnung.
Warten auf … die Umsetzung der EG-Deponierahmenrichtlinie
… nein, nicht auf Godot, sondern auf die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Dabei lässt sich Deutschland durchaus gerne Zeit. Zur Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie benötigte man nur etwas mehr als zwanzig Jahre. Und zur Umsetzung der europäischen Abfalldefinition nicht weniger lange. Wir erinnern uns an den Reststoffbegriff, der erst 1996 aus dem deutschen Rechtsvokabular verschwand, und der Exporte gefährlicher – nein, nicht Abfälle – sondern eben Reststoffe unbegrenzt ermöglichte.
Nun hat Deutschland die EG-Ratsentscheidung zur Festlegung der Kriterien zur Annahme von Abfällen auf Deponien – kurz: die EG-Deponierahmenrichtlinie – umgesetzt. Seit dem 1. Februar ist die entsprechende Verordnung in Kraft. Nicht nach zwanzig Jahren, sondern mit nur etwa eineinhalb Jahren Verspätung. Immerhin.
Nun könnte man ja meinen, es sei so, wie wenn man länger als geplant auf eine Person warten muss, weil die Bahn mal wieder Verspätung hat. Aber das Ergebnis – die erwartete Person – kommt dann doch irgendwann.
Doch die Kriterien des europäischen Abfallrechts werden mal etwas schärfer formuliert (was durchaus zulässig ist – die Mitgliedstaaten dürfen aus Umweltschutzgründen höhere Anforderungen stellen), mal etwas großzügiger, was z.B. die Inertabfälle, die auf Deponien eingesetzt werden dürfen, betrifft. Auch die im Einzelfall zulässigen Überschreitungen bis zum dreifachen des Wertes sowie die Abweichungen bei höheren TOC-Gehalten lassen eine höchst uneinheitliche Vollzugspraxis erwarten. Die – jedenfalls nach bereits zitiertem O-Ton unseres Umweltministers – führende Rolle Deutschlands bei der Umsetzung europäischer Deponievorgaben scheint auch hier vernachlässigbar zu sein.
Wie es Euch gefällt – Den Vorrang der Verwertung bloß nicht zu ernst nehmen …
So verwehrt sich zurzeit die eine Stadt dagegen, dass Hausmüll von gewerblichen Abfallentsorgern vorsortiert wird. Eine andere versucht zu verhindern, dass eine Privatfirma Papier bei den Privathaushalten einsammelt. Eigentlich doch ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft, wenn verwertbare Anteile aus dem Hausmüll der Verwertung zugeführt werden. Aber die zu überlassenden Abfallmengen – und damit auch die zu erhebenden Gebühren – schrumpfen. Und das darf doch nicht Folge der Kreislaufwirtschaft sein!
Dem Erfindungsgeist zur Gebührenerhebung scheint ja ohnehin keine Grenze gesetzt zu sein. Warum wird eigentlich von den Straßenverkehrsbehörden keine Sondernutzungsgebühr erhoben, weil Müllbehälter zur Abholung auf die Straße gestellt werden? Ähnlich wie die Luftgebühr, die – jedenfalls grundsätzlich – auch schon für rechtens erklärt wurde. Als Luftgebühr für über den Straßenraum ragende Balkone.
Die unendliche Geschichte – Verantwortlichkeit von Abfallerzeugern und -besitzern
Wer einmal Abfälle erzeugt oder in seinen Besitz nimmt, bleibt für immer und ewig verantwortlich? So die bange Frage, wenn für einen Entsorgungsweg bereits bezahlt wurde, bei der Entsorgung jedoch irgendetwas schief geht.
Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg von November 2006 entfällt die Verantwortlichkeit des ehemaligen Abfallbesitzers, wenn er die Abfälle einem sorgfältig ausgewählten und zertifizierten Entsorgungsunternehmen übergibt. Auch wenn in diesem Verfahren die Revision zugelassen wurde, so ist mit diesem Urteil erstmals eine Grenze der unendlichen Haftung von Abfallerzeugern und -besitzern ausgesprochen worden.
Und das Urteil entspricht in Grundsätzen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Denn der hat bereits vor längerem klargestellt, wer „gemäß dem Verursacherprinzip“ die Kosten für die Beseitigung der Abfälle zu tragen hat. Danach sind Abfallbesitzer verpflichtet, die Abfälle einem Unternehmen zu übergeben, das mit der Verwertung oder Beseitigung betraut ist, oder selbst die Verwertung oder Beseitigung sicherzustellen. Danach kommt der Besitzer seiner Verpflichtung – auch entsprechend des Verursacherprinzips – nach, wenn er ein (zuverlässiges) Unternehmen auswählt und mit der Entsorgung der Abfälle betraut.
Übrigens gilt nicht jeder Entsorgungsfachbetrieb immer und stets als sorgfältig. Nach allgemeiner Auffassung kann zwar bei einem zertifizierten Betrieb in der Regel davon ausgegangen werden, dass eine ordnungsgemäße Entsorgung erfolgt. Liegen jedoch Anhaltspunkte dafür vor, dass doch nicht alles so läuft wie es laufen sollte, so obliegen Abfallerzeugern und -besitzern weitere Erkundungspflichten.
Großer Schrott und kleiner Schrott
Während bei Schiffen hin und wieder die brenzlige Frage auftritt, ob es sich, wenn es in Richtung Indien ausläuft, noch um ein Schiff handelt, sodass eine Abfalleigenschaft desselben – und damit die Notifizierungspflicht – entfällt, soll E-Schrott gefälligst E-Schrott und damit Abfall sein. Ganz unabhängig davon, ob einzelne Geräte in weiter Ferne noch genutzt werden können, wie dies in Afrika oftmals der Fall sein soll. Ähnlich wie bei Altautos. Die werden exportiert und genutzt, unabhängig davon, ob sie hiesigen Abgasnormen entsprechen. Doch das wollen wir den dortigen Nutzern, die sich kein neueres Fahrzeug leisten können, nicht vorwerfen.
Nun gut. bei E-Schrott will man dem Export einen Riegel vorschieben. China und Nigeria sind übrigens die Hauptimporteure. So drängt sich die Frage auf, ob dieser Riegel letztlich dem Zweck dienen soll, (Sekundär-)Rohstoffe im Inland zu behalten. Die Meldungen über Metallklau nehmen zu. Und selbst unser Bundesumweltministerium lässt verlauten, dass Sekundärrohstoffe im E-Schrott immer wertvoller werden.
REACH und Abfall
Lange wurde sie diskutiert. Nun ist die noch immer umstrittene REACH-Verordnung mit ihren 851 Seiten Mitte Dezember verabschiedet worden. Was bedeutet diese Verordnung für unser Thema Abfall?
Zunächst ist klargestellt, dass Abfälle nicht als Stoffe, Zubereitungen oder Erzeugnisse im Sinne dieser Verordnung gelten. Hier wurde eine klare Trennlinie zwischen Abfall- und Chemikalienrecht getroffen.
Sekundärrohstoffe können hingegen durchaus REACH unterliegen. Bei der Rückgewinnung von Stoffen entfällt die Registrierungspflicht nur dann, wenn die rückgewonnenen Stoffe mit den registrierten Stoffen identisch sind. Auch in den Fällen der internen Kreislaufführung – die ja nach den abfallrechtlichen Grundsätzen als Abfallvermeidung gilt – können daher die Anforderungen des REACH wieder greifen.
Entbürokratisierung im Umweltrecht
ist prima. Immerhin ist dieses immer wieder beliebte Thema bis zum europäischen Umweltgipfel vorgedrungen. Derweil kommen immer neue Dokumentations-, Genehmigungs- und Registrierungspflichten hinzu. Firmen müssen zusätzliches Personal einstellen, um die formalen Anforderungen überhaupt noch bewältigen zu können. Geradezu kafkaesk mutet die Notiz in der Fachpresse an, bis 2011 sollen die Kosten, die den Unternehmen für Informationspflichten entstehen, um 25 % gesenkt werden. Vorher werden die Kosten wohl noch einmal heftig steigen. Der von europäischen Regelungen verursachte Verwaltungsaufwand soll bis 2012 um 25 % verringert werden. Auch da werden sicherlich noch manche Dokumentationspflichten erfunden, um sie dann wieder etwas abzubauen.
Gleichzeitig sollen bei den Behörden weitere Stellen abgebaut werden. Stichwort Bürokratieabbau. In der Praxis entsteht allerdings der Eindruck, dass die Behörden nun erst recht eine Anordnung nach der anderen erlassen, egal, ob gerechtfertigt, egal, ob verhältnismäßig, egal, ob der Sachverhalt richtig ermittelt wurde. Hauptsache, der notwendige Personalbestand des jeweiligen Amtes kann über die Anzahl der erlassenen Anordnungen belegt werden. Hinzu kommt, dass nach einem Urteil des VG Augsburg Gebühren nur für Amtshandlungen erhoben werden können, die Außenwirkung haben, also ein Verwaltungsakt erlassen wurde. Das informelle Klären von Problemen stellt aber keinen Verwaltungsakt dar.
EG-Abfallrahmenrichtlinie und ‚Lebenszyklusbetrachtung’
Auch die ‚Lebenszyklusbetrachtung’, die in die EG-Abfallrahmenrichtlinie aufgenommen werden soll, stößt in diesem Zusammenhang bereits auf Kritik: Analysen und Untersuchungen müssten erstellt werden, um belegen zu können, dass ein von der fünf-Stufen-Hierarchie abweichender Verwertungsweg zulässig ist. Dies angesichts dessen, dass die Wiederverwendung oder stoffliche Verwertung sowieso nicht generell als umweltschonender im Vergleich zu anderen Verwertungswegen angesehen werden kann. Als was galt eigentlich die Versenkung von Altreifen vor den Küsten Floridas, um angeblich neue Riffs zu schaffen, die jetzt zu gewaltigen Umweltproblemen führen? Als stoffliche Verwertung?
Umso erfreulicher ist der Beschluss des VG Berlin von Januar 2007 zu werten. Danach berechtigen ein paar Plastiksäcke auf einem Grundstück nicht gleich zu abfallrechtlichen Überwachungsmaßnahmen. Ein offenbar netter Nachbar hatte übrigens angezeigt, dass vermutlich Müll lagern würde. Absurditäten – und gelegentlich auch ein richterliches Zurechtrücken ebensolcher Absurditäten – erleben wir allerdings nicht nur im Abfallrecht. So hat das OVG Koblenz entschieden, ein Beitrag für die Beseitigung von Niederschlagswasser dürfe nicht erhoben werden, wenn der Grundstückseigentümer die Verpflichtung hat, das Wasser versickern zu lassen. Immerhin.
Bei Problemen und Auslegungsfragen stehen wir Ihnen gerne zur Seite.
[ zurück zum Anfang ] © 2003-2010 Dr. Birgit Stede, Ihr Anwalt für Umweltrecht, Abfallrecht, Genehmigungsrecht, Bodenschutz- und Wasserrecht sowie Umweltstrafrecht in Landsberg am Lech, Bayern und bundesweit. Diese Seite wurde zuletzt geändert am 2010-09-01 |