Rechtsanwältin Dr. Birgit Stede |
Manche unter uns, vor allem die etwas Älteren, werden sich noch gut erinnern: Als Kinder wurden wir gedrängt, aufzuessen, was auf dem Teller lag. Klar. Die Eltern hatten Krieg und Nachkriegsjahre miterlebt. Und nicht das zu essen, was auf den Tisch kam, war für sie undenkbar. Der Teller musste leer gegessen werden, damit am nächsten Tag schönes Wetter wird, so die Verlockung. Die Erfahrung lehrte zwar, dass es trotz Teller-Leer-Essens am nächsten Tag regnen konnte. Doch änderte dies nichts an der regelmäßig wiederkehrenden Mahnung.
Ersatzbaustoffverordnung
Doch kommen wir erst einmal zurück auf das aktuell brenzlige Problem der Mantelverordnung und mit ihr der EBV, die in gut 4 Monaten in Kraft treten wird. Außer, es wird kurzfristig doch noch eine verlängerte Frist des Inkrafttretens beschlossen. Was eigentlich dringend erforderlich wäre. Denn es bestehen so viele Fragezeichen, die dazu führen, dass diese Verordnung, so, wie sie verfasst ist, eigentlich als verfassungswidrig einzustufen wäre. Aber dass das Inkrafttreten noch verschoben wird, nun, damit ist nicht wirklich zu rechnen.
Umsetzbarkeit der EBV
Umso verwunderlicher erscheint es, dass manch einer meint, die neuen Anforderungen seien doch gar nicht so problematisch. Es würde sich doch gar nicht so viel ändern … Ach?! Wurden da sowohl die Grundsatzfragen wie etwa die Anerkennung des Produktstatus sowie eine Vielzahl relevanter Detailfragen, die die Verordnung aufwirft, einfach mal ignoriert oder wollte man diese erst gar nicht zur Kenntnis nehmen? Oder will man mit diesen Detailfragen leben, weil man genau weiß, dass das Gros der kleinen und mittelständischen Firmen eben nicht damit leben kann?
Jedenfalls bleibt es dabei: Sollte die LAGA nicht rechtzeitig vor dem 1. August klare und praxisgerechte Interpretationen zu den Vorgaben der EBV über die vorgesehenen FAQ veröffentlichen, ist das Recycling von mineralischen Abfällen erst einmal weitgehend auf Eis gelegt.
Umsetzungsregelungen der Länder
Doch auch die Länder sind dabei, Umsetzungsvorgaben – so auch zum Produktstatus von Sekundärbaustoffen – zu erarbeiten bzw. zu prüfen, um das Recycling von mineralischen Abfällen wie auch immer am Leben zu erhalten. Auch das ist notwendig, um die EBV in der Praxis umsetzbar zu machen. Von einer bundesweit einheitlichen Regelung zur Verwendung / Verwertung mineralischer Abfälle sind wir dann jedoch – wie vorher auch schon – meilenweit entfernt.
Titandioxid
Kürzlich hatten wir uns mit Titandioxid befasst. Einem Farbpigment, das in unglaublich vielen Produkten – von Farben und Lacken bis hin zu Kosmetika und Umhüllung von Medikamenten sowie in Zahnpasta – verwendet wird.
Auch hatten wir berichtet, dass dieser Stoff plötzlich als ‚vermutlich krebserregend‘ eingestuft wurde. Bei französischen Versuchen wurden bedauernswerte Mäuse mit Titandioxidstaub bestäubt, was diesen Mäusen gar nicht gut bekam. Bei der Bestäubung mit feinstem Mehlstaub wäre es den Mäusen allerdings wohl auch nicht viel besser ergangen!
Diese Einstufung als ‚vermutlich krebserregend‘ hat jedoch fatale Konsequenzen für die Entsorgungsbranche. Denn entsprechende titandioxidhaltige Farben, Lacke und Verputze haften regelmäßig dem Abbruchmaterial an, das aufbereitet werden soll. Und wenn es dann beim Abbruch oder während der Aufbereitung doch mal staubt …
Gegen die Einstufung als ‚vermutlich krebserregend‘ wurde daher Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (eine Art 1. Instanz für bestimmte europagerichtliche Verfahren) eingereicht, unterstützt übrigens von einem renommierten Abbruch- und Entsorgungsunternehmen aus Bayern.
Entscheidung des EuG …
Das EuG hat der Klage Ende November 2022 statt gegeben insbesondere mit der Begründung, dass der Ausschuss für Risikobewertung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) für die Einstufung als ‚vermutlich krebserregend‘ Gutachten zugrunde gelegt habe, die offensichtliche Beurteilungsfehler aufwiesen. So sei die ‚Lungenüberlastung‘ der Versuchstiere bei Feinstpartikeln (Nanopartikeln) nicht berücksichtigt worden!
Die Einstufung als ‚vermutlich krebserregend‘ wurde im Ergebnis durch das EuG mit einer ausführlichen Urteilsbegründung für nichtig erklärt, da keine negativen Auswirkungen durch Titandioxid und damit keine Gefahren aufgrund des Umgangs mit angeblich vermutlich krebserregenden Stoffen erkennbar seien. Damit sind auch für die Bau- und Abbruch- sowie die Recyclingbranche keine negativen Auswirkungen durch Titandioxid erkennbar.
… und Rechtsbehelf hiergegen
Aber halt: Gegen dieses Urteil hat Frankreich Rechtsbehelf eingelegt. Das bedeutet, dass die Einstufung als ‚vermutlich krebserzeugend‘ weiterhin gilt, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) abschließend hierüber entschieden hat.
Bleibt nur zu hoffen, dass der EuGH sich der ausführlichen, dezidierten Entscheidung der ersten Instanz anschließen wird. Denn insoweit bleiben wir dabei: Gefährlich ist wohl kaum der Stoff Titandioxid. Als gefährlich müssen aber generell Nanopartikel einschätzt werden. Wo und wie und auf Grundlage welcher Substanzen diese auch immer eingesetzt werden.
Iss Deinen Teller leer
Kommen wir zurück zu dem moralischen Appell, man müsse aufessen, was auf dem Teller sei. Selbst dann, wenn es sich um Milchreis oder um Grießbrei mit Zimt und Zucker handelt! Denn nicht viel besser war die alternativ vorgetragene Mahnung: Der Teller müsse leer gegessen werden, weil in Afrika Kinder hungern. Ja, die gab es und die gibt es, heutzutage sogar in zunehmendem Maße. Nicht nur in Afrika, auch in Südamerika, in Asien, im Jemen …
Aber welches hungernde Kind in der Welt hat auch nur irgendetwas davon, wenn hiesige Kinder ihre Mahlzeit aufessen?
Der Appell der Verpackungsindustrie
Nichtsdestotrotz ist sich die Verpackungsindustrie nicht zu schade, genau dies als Argument für moderne Verpackungen von Lebensmitteln anzuführen. Angesichts des Hungers in der Welt müsse auch Frischware wie Obst und Gemüse bestens verpackt werden, da diese Ware andernfalls schneller verderben könne – und dies angesichts des Hungers in der Welt … Was aber hat die hungernde Bevölkerung davon, wenn wir hier Obst und Gemüse in Plastik einschweißen?
Im Übrigen waren kritische Biologen ohnehin alarmiert, als die Plastikverpackung rund um Obst und Gemüse eingeführt wurde. Plötzlich wurde das Haltbarkeitsdatum für solche Lebensmittel deutlich verlängert. Doch ob die Vitamine, die diese Lebensmittel enthalten, dieses Haltbarkeitsdatum überstehen, wird eher in Zweifel gezogen!
Verpackungen und Produkte
Wir sollen Abfall vermeiden. Ja. Ein hehres Anliegen. Doch selbst der kritische Verbraucher kann der Flut von Verpackungsmüll kaum entgehen.
Die Produkte, die angeboten werden, weisen nach wie vor ein immenses Verpackungspotential auf. Das Müllaufkommen – so auch der Verpackungsmüll – wächst auf stets neue Rekorde. Ganz entgegen des seit -zig Jahren proklamierten Ziels, das Gebot der Müllvermeidung müsse endlich und verstärkt durchgesetzt werden.
Das geplante Einwegkunststofffondsgesetz
Nun ist das EinwegkunststofffondsG in der Diskussion. Darüber soll der Einsatz von Einwegverpackungen minimiert werden. Die Kosten, die den Kommunen für die Verunreinigung des öffentlichen Raums durch achtlos weggeworfene Einwegprodukte – wie etwa Zigarettenkippen, Kaffeebecher und Pizzaverpackungen – entstehen, sollen hierüber kompensiert werden. Naja. Für viele dieser Verpackungen werden sowieso schon Lizenzentgelte erhoben, die – wer sonst – der Verbraucher letztlich zahlt. Und mit der Abgabe an den Einwegkunststofffond erhöhen sich die Kosten – für na, für wen schon, den Verbraucher natürlich – dann nochmals.
Dabei müssen wir in einem Punkt den Herstellern – ausnahmsweise! – einmal Recht geben: Es sind nicht die Hersteller, die die Zigarettenkippen, Kaffeebecher und Pizzaverpackungen einfach im Freien liegen lassen. Es sind einzelne Bürger. Doch dafür sollen im Ergebnis auch diejenigen, die nach einem Konsum im Freien ordentlich aufräumen, diesen Fond mit bezahlen!
Es lebe die Solidarität!
[ zurück zum Anfang ] © 2003-2023 Dr. Birgit Stede, Ihr Anwalt für Umweltrecht, Abfallrecht, Genehmigungsrecht, Bodenschutz- und Wasserrecht sowie Umweltstrafrecht in Landsberg am Lech, Bayern und bundesweit. Diese Seite wurde zuletzt geändert am 2023-03-30 |